Die Milliardärin, die dank falschen Versprechen in die Schweiz kam
Die Tochter des Staatschefs von Kasachstan lebt in Genf – wie es dazu kam, war bisher ein Rätsel. Jetzt zeigen Dokumente, dass die Frau ihre Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz unter fragwürdigen Umständen erhalten hat.
Für Schlagzeilen sorgte Dinara Kulibajewa erstmals Anfang 2010. Damals wurde bekannt, dass die Tochter des Präsidenten von Kasachstan im Genfer Vorort Anières eine Villa für 74,7 Millionen Franken erworben hatte. Der sagenhaft hohe Kaufpreis warf damals in den Medien hohe Wellen. Und noch etwas löste damals Fragen aus: Wie kommt es, dass eine kasachische Staatsangehörige in der Schweiz überhaupt eine Aufenthaltsbewilligung besitzt – zumal normalerweise für nichteuropäische Zuwanderer hohe Hürden bestehen?
Auch Politiker nahmen das Thema auf, und der Genfer SP-Nationalrat Carlo Sommaruga wollte vom Bundesrat wissen, ob bei Kulibajewa alles mit rechten Dingen zugegangen sei. Er wurde von der damaligen Justizministerin beruhigt. Kulibajewa erfülle alle Bedingungen, um hier zu leben und Immobilien zu erwerben, erklärte Eveline Widmer-Schlumpf im Juni 2010 in der Fragestunde des Nationalrats. Damit schien der Fall erledigt.
Doch jetzt liegen der NZZ Dokumente vor, die zeigen, dass die Präsidententochter damals nur dank Versprechen in die Schweiz kam, die nie eingehalten wurden. Offiziell geben die Behörden zu solchen Fällen keine Auskunft; im Fall von Kulibajewa lässt sich dank den Dokumenten aber rekonstruieren, mit welch undurchsichtigen Manövern sie ihre erste Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz bekam.
Von der Steppe ins Tessin
Ihre erste Aufenthaltsbewilligung erhielt Kulibajewa im Tessin. Es war eine Kurzaufenthaltsbewilligung für 120 Tage im Jahr. Solche L-Bewilligungen erhalten Nicht-EU-Ausländer nur unter gewissen Bedingungen, etwa wenn sie hochqualifizierte Spezialisten oder Kaderleute sind. Auf eine solche Ausnahmebestimmung berief sich damals auch Kulibajewa: Angeblich wollte sie in die Schweiz kommen, um als Direktorin für die Firma Viled International SA in Lugano zu arbeiten.
Diese Firma war erst kurz vorher, im Mai 2006, im Handelsregister eingetragen worden. Offiziell war Viled die Tochterfirma einer kasachischen Firma, die Boutiquen für Uhren, Schmuck und Mode betreibt. Im Verwaltungsrat der neu gegründeten Tessiner Filiale sassen Stefano Camponovo, ein Tessiner Treuhänder mit 50 Verwaltungsratsmandaten, sowie der Anwalt Edy Grignola.
Am 11. August 2006 schrieben die beiden dem kantonalen Amt für ausländische Arbeitskräfte einen Brief, in dem sie die Zukunft ihrer Firma in den leuchtendsten Farben schilderten. Sie versprachen, Viled werde vom Tessin aus den ganzen europäischen Markt erobern, der Kanton werde hohe Steuereinnahmen erzielen, Viled werde schon zu Beginn zehn Mitarbeiter anstellen und später im Tessin sogar eigene Fabriken eröffnen. Viled werde, so hiess es in dem Brief, «einen bedeutenden und beträchtlichen Beitrag zur Wirtschaft und zum Image unseres Kantons leisten».
Aktenzeichen 0698.5196/4
Damit all diese Verheissungen Realität würden, brauche Viled aber einen Chef mit den nötigen Qualifikationen und Kenntnissen – und diese habe nur jemand: die Tochter von Nursultan Nasarbajew, dem Staatschef von Kasachstan. Als Beleg legten die Viled-Verwaltungsräte einen Arbeitsvertrag vor, gemäss dem Kulibajewa für 120 000 Franken im Jahr arbeiten würde – bescheiden für eine Frau, deren Vermögen auf über eine Milliarde Dollar geschätzt wird.
Die Behörden arbeiteten rasch. In Kürze erhielt Kulibajewa die gewünschte L-Bewilligung; auch das Bundesamt für Migration gab sein Einverständnis. Und so wurde Dinara Kulibajewa, geboren am 19. August 1967 in Kasachstan, unter der Nummer 0698.5196/4 im Zentralen Ausländerregister eingetragen. Der Weg aus der kasachischen Steppe ins Tessin war damit offen.
Doch Kulibajewa angeblich derart wichtiges Engagement bei Viled war von kurzer Dauer. Knapp 16 Monate später wechselte sie bereits ihren Aufenthaltsstatus: Am 21. April 2008 gaben ihr die Behörden eine B-Bewilligung. Möglich wurde dies, weil Anfang 2008 eine Änderung des Ausländergesetzes in Kraft getreten war, die Kulibajewa sofort in Anspruch nahm. Der neue Artikel 30 erlaubt es den Kantonen, B-Bewilligungen zu erteilen, wenn es «wichtige öffentliche Interessen» erfordern. Im Fall von Kulibajewa handelte es sich bei diesen «Interessen» um Steuereinnahmen: Der Kanton schloss mit ihr ein Pauschalsteuerabkommen.
Mit dem Permis B war offenbar auch die Firma Viled überflüssig geworden. Jedenfalls wurde 2011 die Liquidation der Firma eingeleitet, und im Dezember 2012 wurde sie aus dem Handelsregister gelöscht. Dass die Firma im Tessin jemals grössere Tätigkeiten entfaltet hätte – darauf sind keine Hinweise bekannt.
Vom Tessin an den Genfersee
War Viled nur ein Konstrukt, um eine Aufenthaltsbewilligung zu erschleichen? Oder hat Viled im Tessin doch irgendwelche Aktivitäten entwickelt? Diese und andere Fragen stellte die NZZ Stefano Camponovo, dem Ex-Verwaltungsratspräsidenten von Viled International. Doch der Multi-Verwaltungsrat aus Chiasso reagierte nicht, trotz zahlreichen Kontaktversuchen.
Liessen sich die Tessiner Behörden täuschen? Diese Schlussfolgerung sei «möglich», aber nicht zwingend, sagt Attilio Cometta, Chef der Sektion Bevölkerung in der Kantonsverwaltung. Man müsse Missbräuche bei Aufenthaltsbewilligungen zwar ständig bekämpfen. Die Mittel der Behörden, um «Versprechen» wie im Fall Viled zu überprüfen, seien jedoch limitiert, sagt Cometta, der 2007 noch nicht für das Dossier zuständig war.
Das Tessin profitierte nicht lange von der reichen Steuerzahlerin. Schon bald zog sie nach Genf weiter, wo sie Ende 2009 ihr 7960 Quadratmeter grosses Anwesen erwarb. Dank ihrem Permis B brauchte Kulibajewa für den Kauf der Villa nicht einmal eine Bewilligung gemäss der Lex Koller; dies hielt das Genfer Wirtschaftsdepartement in einem Entscheid vom 30. Juli 2009 fest.
Wie aus diesem Entscheid, der der NZZ vorliegt, hervorgeht, wird Kulibajewa auch in Genf pauschal besteuert. Wie viel sie bezahlt, ist nicht bekannt. Hingegen wurde unlängst bekannt, dass Kulibajewa nun wegen einer anderen Sache ins Visier der Justiz gerät. Die Genfer Staatsanwaltschaft behandelt eine Strafanzeige wegen Betrugsvorwürfen aus ihrer alten Heimat Kasachstan