Die Diktatorentochter und die Mär ihrer Arbeitsstelle im Tessin
Die Tochter des Staatschefs von Kasachstan bekam in der Schweiz eine Aufenthaltsbewilligung – unter der Bedingung, dass sie eine Firma leitet. Doch jetzt bestätigen die Behörden, dass die Frau hier nie gearbeitet hat.
Dinara Kulibajewa, die Tochter des autokratischen Staatschefs von Kasachstan, erhielt in der Schweiz eine Aufenthaltsbewilligung, gestützt auf Versprechungen, die nie eingehalten wurden. Das haben Abklärungen der Tessiner Kantonsbehörden ergeben, wie Attilio Cometta, Chef der Sektion Bevölkerung, auf Anfrage bestätigt: «Diese Frau hat in der Schweiz nie gearbeitet und hat auch nie Einkommenssteuern im Tessin bezahlt.»
Damit bestätigt der Kanton Tessin offiziell Informationen der NZZ, die am 1. März 2013 Ungereimtheiten im Fall Kulibajewa publik gemacht hat. Aufgrund dieses Artikels forderte das Bundesamt für Migration (BfM) damals den Kanton Tessin zu vertieften Abklärungen auf. Deren Ergebnisse hat Cometta nun dem BfM schriftlich übermittelt.
Grosse Versprechungen
Rückblende: Die heute 46-jährige schwerreiche Präsidententochter Kulibajewa erhielt im Januar 2007 im Tessin eine Kurzaufenthaltsbewilligung L für 120 Tage pro Jahr – gestützt auf einen angeblichen Arbeitsvertrag mit einer Tessiner Firma namens Viled SA, die kurz zuvor gegründet worden war. Die beiden Verwaltungsräte der Firma stellten den Kantonsbehörden schriftlich in Aussicht, die Firma Viled werde im Tessin zahlreiche Arbeitsplätze schaffen und beträchtliche Steuereinnahmen generieren. Damit dies möglich werde, sei Kulibajewas Engagement als Direktorin von Viled unabdingbar.
Gestützt auf diese Behauptungen erhielt Kulibajewa prompt eine Aufenthaltsbewilligung (obwohl das Gesetz die Hürden für Nicht-EU-Ausländer dafür hoch ansetzt). Die L-Bewilligung erlaubte es Kulibajewa, einen ersten Fuss in die Schweiz zu setzen. Bald darauf konnte Kulibajewa allerdings einen besseren Deal aushandeln: Sie profitierte 2008 von einer Gesetzesänderung, dank der sie mit dem Kanton ein Pauschalbesteuerungsabkommen aushandeln konnte. Dieses verschaffte ihr eine B-Bewilligung. Später zog Kulibajewa nach Genf weiter, wo sie bis heute ihren offiziellen Wohnsitz hat.
Auch wenn Kulibajewa heute also einen anderen Status hat als damals, ändert dies nichts daran, dass sie ihre erste Aufenthaltsbewilligung gestützt auf Angaben erhielt, die sich nun als Mär herausstellen. Massnahmen könne der Kanton Tessin deswegen keine ergreifen, sagt Cometta, denn Kulibajewa befinde sich nicht mehr auf Tessiner Territorium. Zudem wäre es laut Cometta ohnehin schwierig nachzuweisen, dass die Behörden bewusst angelogen worden seien. Kulibajewas Schweizer Anwalt Jean-Christophe Hocke macht geltend, seine Mandantin habe nicht versucht, die Behörden zu täuschen: «Es gab Pläne der Firma Viled, in der Schweiz Aktivitäten zu entfalten. Diese Pläne wurden später geändert.» Zudem habe die Sache für die Schweiz keinerlei negative Folgen gehabt, argumentiert Hocke. «Ganz im Gegenteil: Heute ist Frau Kulibajewa eine wichtige Steuerzahlerin in der Schweiz, gestützt auf ein Pauschalbesteuerungsabkommen.»
Jetzt ist Genf am Drücker
Trotzdem hat das BfM den Bericht der Tessiner Behörden nun an die Kantonsbehörden in Genf weitergeleitet, wo Kulibajewa für 74,7 Millionen Franken eine Villa am See erworben hat. Gemäss unbestätigten Informationen läuft ihre B-Bewilligung in Genf im März 2014 jedoch aus und muss erneuert werden.
Werden die Ungereimtheiten aus dem Tessin dannzumal in die Neubeurteilung einfliessen? Die Genfer Behörden schweigen: Das Departement des zuständigen Regierungsrates Pierre Maudet (fdp.) richtet aus, man gebe zu «persönlichen Fällen» keine Auskunft. Klar ist aber, dass nicht nur der Kanton Genf, sondern auch das BfM im Departement von Simonetta Sommaruga (sp.) eine Verlängerung von Kulibajewas B-Bewilligung genehmigen müsste.
Die Tessiner Behörden sagen derweil, sie hätten ihre Lehren gezogen. Man werde, sagt Cometta, auffällige Fälle künftig «genauer prüfen».