Der Beamte des Diktators
Wiktor Chrapunow war das Ziel der Auftraggeber von FDP-Nationalrätin Christa Markwalder. Kasachstan will seinen Kopf. Zu Recht?
«Wie ist der Stand im Verfahren gegen Wiktor und Leila Chrapunow?» Das wollen Christa Markwalder und vor allem ihre kasachischen Auftraggeber, die für sie die Interpellation geschrieben haben, vom Bundesrat wissen. Das inzwischen geschiedene Ehepaar lebt seit 2007 in Genf. Auf der Flucht vor dem kasachischen Präsidenten Nasarbajew, der ihnen nach dem Leben trachte, sagt Wiktor Chrapunow. Weil er, der zwei Jahrzehnte lang sehr hohe Ämter innehatte, Millionen gestohlen habe, sagt Kasachstan und hat 2012 ein Rechtshilfegesuch in der Schweiz eingereicht.
In Genf läuft deshalb ein Verfahren wegen Geldwäscherei. Zweimal reisten im letzten Jahren kasachische Ermittler an, wie der zuständige Staatsanwalt bestätigt. Grosse Fortschritte habe es bislang nicht gegeben. Ein Auslieferungsgesuch Kasachstans lehnte die Schweiz laut dem Bundesamt für Justiz 2014 ab.
Zum Gespräch bittet Chrapunow an nobler Adresse. Im Büro seines Anwalts wartet auch ein Sprecher. Genf hat dem Kasachen eine Aufenthaltsbewilligung erteilt, er wird pauschal besteuert. Auf gegen 70 Millionen Franken wurde das Vermögen der Familie beim Eintreffen des Rechtshilfegesuchs geschätzt. Zwei Drittel davon sind Immobilien, die teilweise mit Hypotheken belegt sind. Chrapunow bestreitet die Zahl nicht. Er und seine Exfrau bezahlen in Genf Steuern von je 280’000 Franken pro Jahr. Laut Chrapunow übernimmt Leila alles – auch seine Unterhaltskosten. Er besitze nichts, nicht einmal ein Schweizer Konto. Ihr Vermögen habe Leila legal erwirtschaftet. Sie war seine zweite Ehefrau. Schon reich und als Unternehmerin in Kasachstan berühmt, als sich die beiden in den 90er-Jahren fanden.
Die Raubzüge der Mächtigen
Der ethnische Russe, dessen Vorfahren seit Generationen in Kasachstan leben, kommt aus einfachen Verhältnissen, wie er in seiner Autobiografie schreibt. Ihr Stil erinnert an einen Sozrealismus-Roman. Chrapunow beschreibt sich als frühreifen Fünfjährigen, den das magere Angebot der Dorfbibliothek enttäuscht. Später als Chrampfer, der vor nichts zurückschreckt. Übernimmt er einen Posten, wird «Tag und Nacht gearbeitet».
Chrapunow macht Karriere, schon zur Zeit des Kommunismus und vor allem nach dem Ende der Sowjetunion. Er erzählt, wie sich um ihn herum die Mächtigen die Schätze Kasachstans unter den Nagel reissen. Vor allem der Clan des Präsidenten. «Ich habe nie etwas genommen», sagt Chrapunow. «Ich war als Minister zuständig für Elektrizität und Kohle, aber mir gehört kein einziges Kraftwerk. Ich war Bürgermeister von Almaty, und mir gehört dort kein Haus.»
Die kasachische Justiz sieht das anders. Als Bürgermeister der Grossstadt habe er Partner bevorteilt, Konkurrenten um Millionen gebracht, sich am Verkauf von öffentlichen Gebäuden bereichert. «Lügen», sagt Chrapunow. Er habe gegenüber der Staatsanwaltschaft alles offengelegt. Die Genfer Behörden sagen, «das Ehepaar kooperiert».
Im Exil zum Kritiker
Dafür, dass Nasarbajew ihn ausschalten will, hat Chrapunow zwei Erklärungen. 2007 heiratete sein Stiefsohn die Tochter des schwerreichen Muchtar Abljasow, damals Besitzer von Kasachstans grösster Bank, die inzwischen verstaatlicht wurde. In Kasachstan, wo familiäre Verbindungen über Aufstieg oder Fall entscheiden, eine heikle Affiche für den Präsidenten – Kapital- und Politwissen vereint in einem Clan. Sofort sei er, damals Minister, auf der Abschussliste gelandet, sagt Chrapunow. Er habe entschieden, das Land zu verlassen – in Richtung Genf. Abljasow flüchtete zwei Jahre später und sitzt heute in Frankreich in Auslieferungshaft. Er soll Milliarden abgezweigt haben. Auch in Frankreich setzt Kasachstan auf prominente Helfer – etwa Jacques Attali, lange Jahre Berater von Staatspräsident François Mitterrand.
Im Exil ist Chrapunow zu einem lautstarken Kritiker Nasarbajews geworden. Er beschreibt ihn heute als «Despoten», der nichts und niemanden neben sich dulde. Dennoch hat er als «Beamter», wie er sich nennt, das Regime fast zwei Jahrzehnte mitgetragen. Er habe zu lange nicht realisiert, wer Nasarbajew wirklich sei, so seine Erklärung.
Bis 2010 sei er von Kasachstan in der Schweiz in Ruhe gelassen worden, sagt Chrapunow. Dann der Skandal, seine zweite Erklärung: Es wird publik, dass Dinara, die Tochter des Präsidenten, zusammen mit ihrem Gatten Timur Kulibajew eine Villa in einem Genfer Vorort gekauft hat – für fast 75 Millionen Franken. Die Genfer Staatsanwaltschaft nimmt Ermittlungen wegen Geldwäscherei auf. Ende 2013 wird das Verfahren eingestellt. Es wird öffentlich, dass es auf Dokumenten, die Ex-Banker Abljasow eingereicht hatte, basierte.
Bespitzelt und gehackt
Nach dem Villenskandal seien er und seine Familie beschattet worden, sagt Chrapunow. Im Auto der Tochter fand sich ein GPS-Sender, sein Computer sowie jener des Anwalts und des Sprechers wurden gehackt. Spezialisten der Bundespolizei hätten die Existenz des Virus bestätigt. Alle drei reichten Anzeige ein. In Kürze erwarte die Bundesanwaltschaft einen Bericht, der zeigt, ob es eine Verbindung zu Kasachstan gibt. Die Behörde will sich dazu mit Verweis auf das Amtsgeheimnis nicht äussern.
Ebenfalls 2010 erschienen in der Schweiz Artikel, in denen das Vermögen Chrapunows thematisiert wurde. Die Zeitschrift «Bilan» führte ihn mit 300 bis 400 Millionen Franken in ihrer Reichstenliste. Eine Fantasiezahl, sagt er. Die kasachische Justiz habe die Artikel aber zum Anlass für Ermittlungen genommen. Sie seien gezielt platziert worden. Beweise dafür gibt es nicht.
Jedoch für die massive PR-Offensive Kasachstans gegen Chrapunow in der Schweiz – nicht erst seit dem Fall Markwalder. Die Ausgaben betragen inzwischen mehrere Millionen. Sicher ist das Engagement der Kanzlei Homburger, des privaten Nachrichtendienstes Arcanum, der PR-Agentur Burson-Marsteller sowie von Ex-Botschafter Thomas Borer.
Hier schliesst sich der Kreis zwischen Präsidentenschwiegersohn Kulibajew und Asat Peruaschew. Jenem angeblichen Oppositionellen, der Markwalder via Burson-Marsteller zu ihrem Vorstoss anstiftete. Chrapunow kennt beide. Peruaschew sei jahrelang der Handlanger von Kulibajew gewesen – ehe er an der Spitze der Pseudo-Oppositionspartei Ak Schol installiert wurde. Zwei Tage vor Amtsantritt sei Peruaschew noch Mitglied der Präsidentenpartei gewesen.
Asylantrag eingereicht
Allerdings weiss auch Chrapunow zu lobbyieren. Er hat einen Antrag auf politisches Asyl eingereicht, der derzeit in Bern geprüft wird. Zur Seite steht ihm neu der Genfer FDP-Nationalrat Christian Lüscher. Nur als Anwalt, sagen Lüscher und Chrapunow. Den Fehler, einen Vorstoss im Namen seines Klienten einzureichen, beging Lüscher nicht. Anders als im Jahr 2013 Parteikollegin Markwalder oder 2014 SVP-Nationalrat Christian Miesch für die Gegenseite.
Seit 2014 wird auf Antrag Kasachstans auch in den USA gegen Chrapunow ermittelt. Die Kinder besitzen dort zwei Villen im Schätzwert von gegen zehn Millionen Franken. Die Gegenseite wirft Chrapunow vor, Geld aus der Schweiz wegzuverschieben. Auffallend ist auch, dass 2012 im Firmenregister bei mehreren Gesellschaften die Namen von Exfrau Leila und Stiefsohn Ilijas (Mitglied der Genfer CVP) als Besitzer gelöscht wurden. Chrapunows Begründung: das Geld. Seit dem Start der Ermittlungen sei das Geschäftsklima für seine Familie in der Schweiz schwierig geworden. Die Firmen seien deshalb verkauft worden – unter Wert. Die Genfer Staatsanwaltschaft habe alles kontrolliert. Alles sei korrekt abgelaufen.
Dazu sagt die Behörde: Man sei derzeit nicht in der Lage, die Vorwürfe gegen die Familie Chrapunow zu beurteilen. Das sei Sache der Kasachen.
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Quelle: Tages-Anzeiger